Haben Bindungsängstler Liebeskummer?

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Liebeskummer ist eine der schmerzhaftesten Erfahrungen, die Menschen durchleben. Nach einer Trennung leidet oft derjenige, der verlassen wurde, am stärksten. Der Partner, der die Beziehung beendet hat, scheint hingegen oft weniger betroffen – insbesondere dann, wenn ihm eine gewisse Bindungsangst nachgesagt wird. Doch ist das wirklich so? Haben Bindungsängstler keinen Liebeskummer? Oder liegt die Wahrheit tiefer, als es zunächst scheint?
Der Schmerz nach einer Trennung – Wer leidet wirklich?
Wenn eine Beziehung endet, geht oft derjenige, der als Bindungsängstler bezeichnet wird. Zurück bleibt ein Partner, der sich fragt, warum es nicht funktioniert hat, warum er wieder jemanden angezogen hat, der nicht bleiben wollte. Während die Verlassenen oft in tiefer Trauer versinken und die Trennung als Verlust erleben, wirkt es nach außen oft so, als würde der verlassende Part einfach weitermachen, als wäre nichts gewesen. Diese scheinbare Kälte sorgt für Wut und Unverständnis bei demjenigen, der verlassen wurde. Doch diese Wahrnehmung trügt.
Tatsächlich ist derjenige, der geht, nicht zwangsläufig ein klassischer Bindungsängstler. Vielmehr kann es sein, dass er erkannt hat, dass die Beziehung für ihn nicht mehr passt. Oft wird übersehen, dass auch der Verlassende zuvor unter der Verbindung gelitten hat – nur eben auf eine andere Weise. Die Entscheidung, sich zu trennen, ist nicht immer Ausdruck von Flucht vor Nähe, sondern kann ebenso eine bewusste Wahl für Authentizität und Selbsttreue sein. Vielleicht hat derjenige, der geht, einfach erkannt, dass er noch nicht am Ziel seiner Suche ist und sich weiterentwickeln möchte.
Ist der Verlassene wirklich beziehungsfähig?
Hier liegt eine unangenehme Wahrheit, die oft übersehen wird: Auch derjenige, der verlassen wurde, leidet möglicherweise an einer versteckten Bindungsangst – nur in einer anderen Form. Während der „klassische“ Bindungsängstler Nähe vermeidet oder nach anfänglicher Intensität das Interesse verliert, neigt der unsicher gebundene Part dazu, sich an Menschen zu klammern, die gar nicht wirklich verfügbar sind. Dies geschieht unbewusst, aber das Muster wiederholt sich oft: Der Wunsch nach tiefer Liebe trifft auf einen Partner, der letztlich nicht bleiben kann oder will.
Warum ziehen wir Menschen an, die nicht wirklich verfügbar sind? Vielleicht, weil diese Partner uns unbewusst die Angst vor wahrer Intimität spiegeln. Sich auf jemanden einzulassen, der sich nicht vollends hingibt, bedeutet gleichzeitig, dass man selbst keine echte Nähe zulassen muss. Die Vorstellung, eine wirklich stabile und tiefgehende Beziehung zu führen, kann für manche ebenso beängstigend sein wie für andere die Vorstellung, in einer solchen gefangen zu sein.
Die Wahrheit hinter der Bindungsangst – Ein Blick auf sich selbst
Es ist erstaunlich, dass viele der vermeintlichen Bindungsängstler später sehr stabile und langjährige Beziehungen führen. Das zeigt, dass ihr Verhalten in einer bestimmten Partnerschaft nicht zwangsläufig eine allgemeine Angst vor Nähe widerspiegelt, sondern vielmehr die Tatsache, dass diese spezifische Beziehung für sie nicht stimmig war.
Wenn man selbst immer wieder an Partner gerät, die nicht langfristig bleiben, kann es hilfreich sein, sich selbst zu fragen: Was in mir sucht diese Art von Verbindung? Ist es wirklich Pech, oder steckt ein Muster dahinter? Wer in einer Beziehung festhält, obwohl der andere sich zurückzieht, sollte sich fragen, ob er tatsächlich Nähe sucht – oder ob die unerreichbare Liebe nicht vielmehr eine Möglichkeit ist, sich vor echter Intimität zu schützen.
Fazit
Bindungsängstler haben durchaus Liebeskummer – aber oft in einer anderen Form und bereits lange vor der eigentlichen Trennung. Derjenige, der geht, ist nicht automatisch derjenige, der keine Nähe möchte, sondern oft derjenige, der erkannt hat, dass diese spezifische Beziehung nicht mehr stimmig ist. Wer verlassen wird, erlebt oft tiefen Schmerz, sollte sich jedoch fragen, warum er Menschen anzieht, die nicht wirklich verfügbar sind. Denn in dieser Reflexion liegt der Schlüssel zu einem neuen, erfüllteren Beziehungserleben.