Bindungsangst – wenn Nähe zur Gefahr wird
Menschen mit Bindungsangst leiden, wenn sie zu viel Nähe erleben! Gleichzeitig ist Beziehung die größte Sehnsucht des Bindungsängstlers.
Einerseits sehnen sich Menschen nach einer Beziehung, andererseits fühlen sich jene eingeengt, wenn ihre Beziehung immer vertrauter wird. Das Spiel mit der Angst vor Bindung beherrschen die wenigsten. Meist wollen sie unbedingt eine Beziehung, rennen mit 150% in die neue Beziehung und überrollen ihren neuen Partner förmlich. Wenn dieser sich dann auch darauf einlässt, erleben beide sehr tiefe, intensive, ja einmalige Gefühle, die sie so mit einem „normalen“ Partner noch nicht erlebt haben. Es fühlt sich an, als wäre man schon immer füreinander geschaffen. Viele Menschen sprechen dann auch von Seelenpartnerschaft oder dass sie bestimmt in einem vorigen Leben bereits ein Paar waren.
Doch schon bald kommen die ersten Anzeichen, die ersten Beengungen und die Bindungsangst macht sich breit und breiter. Dann gibt es plötzlich keine Freiheit mehr, der Partner sei zu nah, zu oft da, klammere usw.
Für den Partner, der unwissend über das Phänomen der Bindungsangst ist, bricht dann eine Welt zusammen. Er hat sich wie gewohnt verhalten, hat gemeinsame Zeit verbracht, vieles mit dem Partner gemeinsam abgesprochen und die Beziehung in den Fokus seines Lebens gesetzt.
Meist kündigt der Bindungsängstler die Beziehung nach sehr intensiven Momenten auf, redet sich gekonnt heraus, gibt dem Partner geschickt die Schuld für das Scheitern dieser Beziehung und verschwindet so schnell er kann, ist nicht mehr zu sprechen, braucht plötzlich ganz viel Zeit und Raum. Die so verlassenen Partner finden bei sich keinerlei Entsprechung vor für solche Vorwürfe und dies stürzt sie dann allzu leicht in schwere, depressive Selbstzweifel.
Bindungsangst muss man verstehen!
Wird die Beziehung enger (und das wird jede Beziehung irgendwann), schnürt sie dem Bindungsängstler förmlich den Hals zu, es fehlt die Luft zum Atmen. Die Bindungsangst sorgt dafür, dass keine feste Bindung eingegangen wird. Das Trauma des Bindungsängstlers ist ja, dass er, wenn es zu eng wird, innerlich sterben wird. Dass er sich selbst völlig verlieren würde im anderen. Bindungsängstler sind meist sehr freundliche, gern gesehene Menschen, die überall beliebt sind, ständig auf Feiern und Geburtstagen eingeladen sind und eigentlich von jedem gern als Freund gewollt werden. Dabei wird oft übersehen, dass der Bindungsängstler meist allein zu den Festen kommt und fast nie einen Partner hat. Deswegen wollen Freunde ihn auch verkuppeln. Bindungsängstler vermitteln eine gewisse Selbständigkeit, die sehr attraktiv macht.
Nachdem die Angst den Bindungsängstler erfolgreich in die Flucht geschlagen hat, vergeht diese langsam wieder, denn die gefährliche Ursache ist ja nun nicht mehr vorhanden. Wenn die Angst sich dann wieder verflüchtigt, kommt die Sehnsucht nach dem verlassenen Partner wieder auf. Es ist, als wäre man von zwei Wesen beherrscht. Das eine wütet in einem und macht einem das Leben und die Beziehung kaputt. Das andere Wesen sammelt, nachdem die Angst verflogen ist, die Teile wieder ein und bemüht sich, wieder Ordnung ins eigene Chaos zu bringen.
Wenn er dann merkt, dass es da ja noch Gefühle in ihm gibt, ihn die Sehnsucht erfasst, wird er sich dem verlassenen Partner wieder nähern. Plötzlich steht er wieder auf der Matte, möchte zurück in die Beziehung. Das kann mitunter schon nach ein paar Wochen sein, es können aber durchaus auch Jahre vergehen, bis der Bindungsängstler wieder zurückkommt. Ich kenne Verlassene, die oft monatelang hoffen und warten. Sie sind, aufgrund der tiefen Verbindung, nicht imstande, sich für einen anderen Menschen zu öffnen. Das Warten wird also zu einem festen Bestandteil dieser Liebenden, eigentlich Leidenden.
Oft haben Bindungsängstler es auch geschickt heraus, den ehemaligen Partner wieder so zu motivieren, dass dieser selbst die Beziehung wieder herstellen wird. So können sie später, wenn es ihnen dann wieder zu eng wird, ganz gezielt sagen, sie wären nicht der Auslöser für das erneute Beleben der Beziehung gewesen.
Eine Beziehung, in der ein Partner unter Bindungsangst leidet, ist nie auf Augenhöhe
Es herrscht stets ein Ungleichgewicht. Oft gibt es keine Balance, sondern es ist ein ständiges Investieren des gesunden Partners an der Tagesordnung. Immer, wenn er denkt, er hätte sich nun mit dem Partner etwas aufgebaut, wird er eines Besseren belehrt und dieser ist schon wieder auf dem Weg ins OFF. Auch hat der Bindungsängstler es raus, den anderen als Schuldigen dastehen zu lassen. Grund dafür ist, dass die Bindungsangst nicht entdeckt werden will. Sie soll ja auch nicht vom Bindungsängstler selber erkannt werden.
Das Leid der Verlassenen gleicht einer Hölle
Wenn der Bindungsängstler geht, ist dies für den Partner meist nicht verständlich. War er eben noch in tiefster und innigster Umarmung mit seiner Liebsten, ist er im nächsten Moment Single und steht alleine da. Wie um alles in der Welt konnte das geschehen? Wie soll er das verstehen? Die Gründe sind so fadenscheinig, dass er es nicht glauben mag. War es wirklich das Wort, das er gerade gesagt hatte, der Auslöser für die Trennung? Er wird es nicht verstehen, denn der Bindungsängstler weiß ja oft selbst nicht, dass er unter dieser Angst leidet. Nur die wenigsten sind sich dessen bewusst, noch weniger Menschen gehen in Therapie. Der Bindungsängstler muss aber weg. Er bekommt kaum noch Luft und die einzige Möglichkeit, die er sieht, ist, die Beziehung als Ursache der Beengung zu betrachten und diese so schnell als möglich zu beenden. Dann kann er wieder atmen, kann wieder frei sein und muss nicht mehr leiden. Denkt er!
Es ist also reine Kopfsache, die nichts mit dem Herzen zu tun hat. Der Kopf gewinnt die Oberhand und die Gefühle, welche im Herzen sitzen, werden von der Angst überdeckt.
Somit bricht nun für den liebenden Partner die Welt zusammen. Es scheint ihm, als fließe seine Energie nur so aus ihm heraus. Meist sind ihm die Gründe des Bindungsängstlers völlig unverständlich und so kurios, dass er die Welt nicht mehr verstehen mag. Oft kann er kaum etwas daran ändern, dass er nun durch die Hölle geht, so schnell ist er total leer und ausgebrannt. Und manchmal ist es so schlimm, dass die Gedanken nur noch um ein rasches, erlösendes Ende seines Daseins kreisen. Wenn es seine erste Beziehung mit einem Bindungsängstler war, gibt es oft ein Comeback und eine weitere Hölle, durch die er geht, bevor er den Absprung schafft. Wenn er den Absprung diesmal schon schafft.
Das schnelle Aus trifft einen meist unerwartet
Wenn man keine Ahnung von Bindungsangst hat und dass der Partner darunter leiden könnte, weiß man nicht, was einen erwartet. Dann zweifelt man wirklich sehr schnell an sich selbst und sucht Rat bei Freunden zu den eigenen Problemen, weswegen die Beziehung gescheitert sein müsste. Dass es letztlich die Ängste der Partnerin waren, erkennt man meist erst viel zu spät. Die Hoffnung verwehrt einem den Blick auf die Wirklichkeit.
Ist man normalerweise in Beziehungen auf Augenhöhe gewesen, so wird es in dieser Beziehungskonstellation nur schwer möglich sein, lange eine gesunde Balance aufrecht zu halten. Zu schnell bringt der Bindungsängstler seinen Partner ins Ungleichgewicht. Meist schafft er es recht leicht durch Abwesenheit und Distanz, den Partner geschickt in eine emotionale Abhängigkeit zu manövrieren, nachdem zuvor eine innigste, tiefe Verbindung für völlige Hingabe gesorgt haben. Dass dieser dann zu sehr sein „Inneres verletztes Kind“ auslebt, ist diesem anfänglich leider auch nicht bewusst. Er merkt nur, dass er unsagbar leidet und keinen rechten Grund dafür finden kann, wenn er einmal einen Moment des rational Denkenden einnehmen kann in seiner großen Qual. Meist fehlt es ihm dann an Distanz zu sich selbst. In Beziehungen auf Augenhöhe vertraut man sich gegenseitig und behütet sich auch dementsprechend. In Beziehungen auf Augenhöhe bleibt jeder Partner ganz, stabil, die innige und tiefre Verbundenheit bildet sich erst nach und nach. Somit sind Verletzungen dort nicht an der Tagesordnung wie mit einem Bindungsängstler.
Zugegeben, der Partner eines Bindungsängstlers wird auch sein Päckchen zu tragen haben. Nicht ohne Grund wird er sich auf einen Menschen eingelassen haben, der keine wirkliche Bindung eingehen kann, der im Grunde nicht zu haben ist. Auch leiden jene oft selbst an Verlustangst, so dass sie ihren Bindungsängstler mit ihrem Verhalten dann erst recht in die Flucht schlagen. Der eine läuft weg, während der andere hinterherläuft.
Die Liebe sei das größte unter ihnen
„Liebe allein reicht nicht“, sagt die Bindungsangst und betrügt sich damit selbst. Denn die Angst ist Schutz vor Verletzung, also reine Eigenliebe. Dass diese Angst sich allzu oft in frühen Kindertagen bildet, ist dabei unerheblich. Sie wirkt auch heute noch.
Und wenn der liebende Partner erst einmal erlebt hat, dass seine Liebste nach einer Weile ein Comeback starten will, wird in ihm die Hoffnung keimen, dass es diesmal klappen wird. Auch wird dies dafür sorgen, dass er beim nächsten Mal auch wieder auf sie warten wird. Diese Hoffnung ist dann der Grundstein dafür, dass er wieder und wieder durch die Hölle gehen wird. Irgendwann versteht aber auch dieser Partner: „Auch wenn Liebe allein reicht! Bei diesem Menschen ist das anders!“ Diese Andersartigkeit zu begreifen, ist für den Verlassenen sehr schwer zu verdauen. Hinzu kommt, dass Verlassene sich generell schwerer tun, eine Trennung zu verarbeiten. Zu leicht kippen sie hinein ins Leid, weil sie sich sehr schnell die Warum-Frage stellen. Und damit entsteht Leid. Es einfach hinzunehmen, würde ihnen viel Leid ersparen. Klar, würde dies weh tun. Aber dann wäre es nur notwendig, den Schmerz der Trennung zu verarbeiten, diese schmerzhaften Gefühle zu fühlen. Gefühle wollen nämlich gefühlt werden. Mehr nicht. Sie tun einem sonst nichts, aber auch gar nichts. Dennoch bauen wir oft Mauern in uns auf, solche Gefühle nicht wahrzunehmen. Diese Mauern kosten uns dann viel Energie. Viel mehr Energie als es kosten würde, diese Gefühle zu fühlen. Meist ist es nach kurzem Fühlen ausgeschmerzt.
Das Schlimmste … sind die Höllenqualen
Das Schlimmste ist das unerwartete, unverständliche Hängen gelassen werden und das anschließende durch die Hölle der Einsamkeit gehen! Ist man bereits öfters vom gleichen Partner verlassen worden, weiß man vielleicht schon, wie so eine Trennung verläuft. Dass es nach ein paar Tagen wieder leichter wird. Man spürt vielleicht schon, dass es immer der gleiche Teilaspekt des Selbst, das Innere verletzte Kind ist, das dann besonders leidet. Warum dieser Aspekt in einem so übermächtig werden konnte, ist dann noch ein weiter Weg des Erkennens.
Man hat dann alle Arbeit, diesen Aspekt wieder zurück ins Gleis zu bringen. Die innere Familie, die gut für sich sorgt, wieder aufzubauen. Danach erst kann man sich wieder als ganzheitliches Wesen betrachten und erneut auf Augenhöhe durchs Leben gehen und auf andere Menschen zugehen.
Wenn man es schafft, immerfort in dieser Ganzheit zu verweilen, haben Menschen mit Bindungsangst keine Chance, sich in das Leben zu drängen. Denn dies wäre eine andere Liebe gewesen, nicht so intensiv und nicht so einmalig. Dann hätte der plötzliche Liebesentzug keine Wirkung gezeigt und die Momente des Verlassens werden einen nicht so hart erwischen. Dann wäre es nur eine minimale Veränderung im ganzheitlichen Dasein gewesen.
Aber dann hätte man sich sowieso nicht als mögliches Paar gesehen!
Welche Vorteile hätte es denn, mit einem Bindungsängstler in Beziehung zu gehen?
Es kommt einem vor, als wäre man mit einem wunderschönen Vogel zusammen, der fliegen muss, dem die Freiheit in den Lüften sein eigentliches Lebenselixier ist. Wenn man sich auf solch einen Vogel einlassen kann, ihm seine Freiheit jederzeit lassen kann, dann hat eine solche Beziehung gute Chancen zu gelingen. Dies erfordert vom Partner ein hohes Maß an Selbstdisziplin und Selbstbeherrschung. Ist er auch eher distanziert und gern mit sich selbst allein, kann diese lockere Bindung durchaus für beide ein Gewinn sein.
Die Angst sitzt im Kopf, während die Liebe im Herzen liegt.
Man kann es sich wie eine Flasche Bier vorstellen. Oben drauf ist der Schaum und unten drunter das Bier. Ist der Schaum weg, hat man immer noch das Bier. Schüttelt man die Flasche, entsteht wieder Schaum und das Bier ist von oben nicht sichtbar.
Bindungsängste bilden sich allzu oft in der Kindheit, ausgelöst durch ein bestimmtes Verhalten der Eltern oder ein Trauma. Ist erst einmal dieses Muster geprägt, wiederholt es sich stets, wenn entsprechende Umstände eintreten. Das Muster als nachteilig und längst überflüssig zu erkennen, wäre die Erlösung für jene Menschen, um so wieder glückliche und zufriedene Beziehungen zu führen.
Schaltet so ein Mensch bewusst seinen Kopf aus, hört also vermehrt auf sein Herz, wird eine gewisse Zeit die Schönheit der Beziehung erlebt. Leider drängt der Kopf sich immer wieder hinein, die Sorgen und Ängste treten wieder nach vorn und werden sie stärker, überdecken sie die zarten Gefühle vom Herzen leicht. Dann ist es nicht mehr weit, bis der Kopf erneut die Übernahme über das Verhalten übernimmt. Man ist nicht mehr emotional, sondern kopfgesteuert.
Der Schatten
Menschen, die mit Bindungsängstlern in Beziehung gehen, haben ebenfalls ein Nähe Problem. Nur ist ihnen dies nicht sichtbar. Es liegt in ihrem Schatten. Der Schatten ist der Teil des Selbst, der uns nicht bewusst ist, aber dennoch unser Verhalten mitbestimmt. Den Schatten aufzuarbeiten funktioniert über den Partner. Dieser zeigt einem die Anteile, die wir nicht sehen können, die uns aber genauso prägen wie ihn.
Anfangs, wenn wir uns in einen Menschen verlieben, finden wir ganz bestimmte Eigenschaften oder Verhaltensweisen an ihm toll. Dies können wir nur erkennen, weil wir dies auch haben, nur sehen wir es noch nicht. Es liegt in unserem Schatten. Wir brauchen also andere, um uns selber besser kennen zu lernen, um unseren Schatten zu erkennen. Manchmal ist es so, dass man beim Partner Eigenschaften toll findet, die man glaubt, selber nicht zu besitzen, aber gern hätte. Auch diese liegen in unserem Schatten und sind schon immer Teil unseres Selbst, nur halt verborgen.
In der Schattenarbeit können wir solche Themen aufarbeiten.